Neue Einfachheit für gesunde Räume

Wie kann der Bau­sek­tor dazu bei­tra­gen, die Kli­ma­zie­le und CO2-Neu­tra­li­tät zu errei­chen? Tho­mas Auer, Pro­fes­sor für Gebäu­de­tech­no­lo­gie und kli­ma­ge­rech­tes Bau­en an der TU Mün­chen, plä­diert für ein ein­fa­ches, tech­nisch abge­rüs­te­tes Bau­en, Ver­wen­dung emis­si­ons­ar­mer Pro­duk­te und eine neue Defi­ni­ti­on des Begriffs „Kom­fort“. Der fol­gen­de Bericht gibt in kon­zen­trier­ter Form den Vor­trag von Prof. Auer bei der GEV, Gemein­schaft Emis­si­ons­kon­trol­lier­te Ver­le­ge­werk­stof­fe, Kleb­stof­fe und Bau­pro­duk­te, wie­der.

„95 Pro­zent der Gebäu­de funk­tio­nie­ren nicht wie geplant. Trotz­dem fährt die Indus­trie wei­ter wie ein Tan­ker: Gebaut wer­den dum­me Glas­ge­bäu­de.“ Prof. Tho­mas Auer spart nicht mit Kri­tik am aktu­el­len Bau­ge­sche­hen. „Die Archi­tek­tur, die wir bau­en, ist zu kom­pli­ziert. Wir müs­sen ein­fa­cher bau­en.“ Auer ver­weist dar­auf, dass das aktu­el­le Gebäu­­de­en­er­­gie-Gesetz (GEG) zu sehr den berech­ne­ten Ener­gie­be­darf gewich­te. Doch hät­ten Stu­di­en gezeigt, dass Gebäu­de der schlech­tes­ten Ener­gie­ef­fi­zi­enz (Klas­se G) beim tat­säch­li­che Ener­gie­ver­brauch im Ver­hält­nis zum errech­ne­ten Ener­gie­be­darf deut­lich bes­ser abschnit­ten als Gebäu­de der bes­ten Effi­zi­enz­klas­se A („Per­for­mance Gap“). Statt sich auf in der Pra­xis uner­reich­ba­re Ener­gie­ef­fi­zi­enz­wer­te zu kon­zen­trie­ren, rät Auer zu einem ganz­heit­li­che­ren Ansatz. „Wir müs­sen auch über graue Ener­gie spre­chen und den gesam­ten Lebens­zy­klus eines Gebäu­des berück­sich­ti­gen.“ Die soge­nann­te „graue Ener­gie“ bezeich­net die Ener­gie­men­ge, die für Her­stel­lung, Trans­port, Lage­rung, Ver­kauf und Ent­sor­gung von Bau­pro­duk­ten auf­ge­wen­det wer­den muss.

Auer belässt es nicht bei Kri­tik, son­dern benennt auch Lösun­gen, wie durch­dach­tes Bau­en zur Kli­ma­neu­tra­li­tät bei­tra­gen kann. Er plä­diert dafür, die Kom­ple­xi­tät beim Bau­en zu redu­zie­ren, „in Form, Mate­ria­li­tät und Tech­nik“. Der tech­ni­sche Auf­wand ste­he in vie­len Fäl­len in kei­nem gesun­den Ver­hält­nis zur Ener­gie­er­spar­nis. Er ver­weist auf das For­schungs­clus­ter „Ein­fach bau­en“ an der TU Mün­chen in Zusam­men­ar­beit mit sei­nem Kol­le­gen Prof. Flo­ri­an Nag­ler. Im Rah­men eines Pro­jekts wur­den im ober­baye­ri­schen Bad Aib­ling drei For­schungs­häu­ser in drei ver­schie­de­nen Bau­wei­sen errich­tet: aus Zie­gel, Holz und Leicht­be­ton. Die Gebäu­de wur­den ener­ge­tisch bewusst so aus­ge­legt, dass sie ledig­lich die Min­dest­an­for­de­rung des GEG erfül­len (Effi­zi­enz­haus 100).

Das Moni­to­ring mit vie­len Mes­sun­gen ergab, dass – unab­hän­gig von der Bau­wei­se – die Low­­tech-Gebäu­­de funk­tio­nie­ren, wenn bestimm­te Aspek­te beach­tet wer­den. Dazu gehö­ren unter ande­rem ein­schich­ti­ge Wand- und Decken­kon­struk­tio­nen, aus­rei­chen­de Spei­cher­mas­se, um Hit­­ze- und Käl­te­pha­sen aus­zu­glei­chen, sowie Tren­nung von Gebäu­de und Tech­nik­sys­te­men. Wich­tig sind für Auer auch „ange­mes­se­ne Fens­ter­flä­chen und Raum­hö­hen“. Auf Basis von fast 3.000 Simu­la­tio­nen ermit­tel­ten Auer und sein Team, dass sich Räu­me mit grö­ße­rer Decken­hö­he durch hohe, schma­le Fens­ter in der Tie­fe bes­ser beleuch­ten las­sen. Auf die­se Wei­se sei weni­ger Fas­sa­den­flä­che im Ver­hält­nis zur Grund­flä­che erfor­der­lich, was sich im Som­mer wie im Win­ter vor­teil­haft für das Raum­kli­ma aus­wir­ke.

 

Dank des Fens­ter­an­teils an der Fas­sa­de von unter 20 Pro­zent ist ein Son­nen­schutz, der übli­cher­wei­se eine klas­si­sche Wär­me­brü­cke dar­stellt, über­flüs­sig. Trotz­dem wird eine gute Tages­be­lich­tung erreicht. Durch den Ver­zicht auf einen schwim­men­den Est­rich sind Sani­­tär- und Elek­tro­lei­tun­gen in Sicht­in­stal­la­ti­on (auf Putz) ver­ar­bei­tet. Das Ergeb­nis des Moni­to­rings der drei Häu­ser stellt alle Betei­lig­ten mehr als zufrie­den: „Fünf von sechs Woh­nun­gen haben weni­ger Ener­gie ver­braucht als pro­gnos­ti­ziert“, betont Auer. Die Ver­suchs­häu­ser zeig­ten, dass Low­tech mög­lich sei und eine gute Lösung für CO2-neu­tra­les Bau­en dar­stel­le, wenn man die „graue Ener­gie“ berück­sich­ti­ge.

Wich­tig sind für Auer auch schad­stoff­ar­me Räu­me. In vie­len Gebäu­den gebe es bedenk­li­che Kon­zen­tra­tio­nen von VOC (für Vola­ti­le Orga­nic Com­pounds = flüch­ti­ge orga­ni­sche Ver­bin­dun­gen), die als gesund­heits­ge­fähr­dend gel­ten. Auer sieht hier eine gro­ße pla­ne­ri­sche Ver­ant­wor­tung. Bei Ver­wen­dung emis­si­ons­ar­mer Pro­duk­te, zum Bei­spiel mit dem Emi­­code-Sie­­gel, kön­ne die VOC-Kon­­­zen­­tra­­ti­on redu­ziert wer­den. Ver­stärkt wird die­ser posi­ti­ve Effekt zum Bei­spiel mit offe­nen Raum­struk­tu­ren.

Ist die in den drei Ver­suchs­häu­sern prak­ti­zier­te Ein­fach­heit der Königs­weg zu kli­ma­neu­tra­lem Bau­en? Auer sieht hier öko­no­mi­sche Zwän­ge, die dem im Wege ste­hen. Dicke Wän­de wie bei den Modell­häu­sern bedeu­te­ten einen Wohn­flä­chen­ver­lust. Und durch grö­ße­re Raum­hö­hen fal­le ein Geschoss weg. Das mache die­sen Ansatz für Bau­un­ter­neh­men auf­grund der hohen Grund­stücks­prei­se, vor allem in den Städ­ten, unwirt­schaft­lich. Am ehes­ten las­se sich das Modell daher im länd­li­chen Raum rea­li­sie­ren.

Zusätz­lich zum Kon­zept „Ein­fach bau­en“ regt Auer in Anleh­nung an den Archi­tek­tur­pro­fes­sor Dani­el A. Bar­ber und des­sen Essay „After Com­fort“ an, den Begriff Kom­fort neu zu den­ken. Nicht nur tech­nisch, son­dern auch im Hin­blick auf Kom­fort sei eine Abrüs­tung erfor­der­lich. „Es ist ein Irr­tum zu glau­ben, dass Kli­ma­ti­sie­rung zu weni­ger Beschwer­den führt, nur zu ande­ren“, betont er. Auer rät zu einem „healt­hy dis­com­fort“, einem gesun­den Kom­fort­ver­zicht. Ein regel­mä­ßi­ger „Dis­com­fort“, zum Bei­spiel Trep­pe statt Auf­zug, kön­ne gesund­heits­för­dern­de Wir­kung haben wie zum Bei­spiel das Win­ter­schwim­men in kal­tem Gewäs­ser. „Wir müs­sen raus aus die­sem omni­prä­sen­ten und ganz­jäh­ri­gen Kom­fort und stär­ker sai­so­nal arbei­ten.“

 

 

Foto: © GEV/Stefanie König

Prof. Tho­mas Auer, geb. 1965, hat an der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Mün­chen den Lehr­stuhl für Gebäu­de­tech­no­lo­gie und kli­ma­ge­rech­tes Bau­en inne. Er forscht und lehrt über Fra­gen der ganz­heit­li­chen Gebäu­de­op­ti­mie­rung unter Berück­sich­ti­gung der zukünf­ti­gen Ent­wick­lun­gen im Hin­blick auf die Nach­hal­tig­keits­zie­le der EU. Prof. Auer war mit Simu­la­tio­nen und Mes­sun­gen unter ande­rem an Pla­nung, Bau und Betrieb des Mani­to­ba Hydro Place im kana­di­schen Win­ni­peg betei­ligt, das auf­grund sei­ner mehr­schich­ti­gen Fas­sa­den­struk­tur und einem inno­va­ti­ven Ener­­gie- und Lüf­tungs­kon­zept für Auf­se­hen in der Fach­welt sorg­te (Archi­tek­tur: KPMB Archi­tects, Toron­to).

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26. Juni 2025